Christen in einem religiös pluralistischen Staat
Welchen Platz soll der Glaube im öffentlichen Raum haben? Wie können sich Christen konstruktiv in den öffentlichen Dialog einbringen? Was ist zu tun, wenn Religion aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt wird? Unter dem Titel «Religiöse Neutralität» fand der von SEA-Generalsekretär Andi Bachmann-Roth moderierte DenkBar-Anlass online statt und ermöglichte, über diese hochaktuellen Fragen zu diskutieren.
Ca. 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lauschten gespannt den drei Gästen, wo sie mit religiöser Neutralität im Staat, in der Bildung und in Zusammenarbeit mit christlichen Organisationen konfrontiert sind. Dazu berichtete Rahel Katzenstein, Dozentin an der pädagogischen Hochschule Zug: «Wir hatten einmal eine Diskussion zum Thema Evolution und Schöpfung, die sehr heftig verlief, aber genau das wünsche ich mir. Man soll Sachen ansprechen können und über kontroverse Themen ins Gespräch kommen.» Christoph Egeler, Leiter der Vereinigten Bibelgruppen VBG, bestätigte Erfahrungen, als akademische christliche Bewegung unter dem Deckmantel der religiösen Neutralität zurückgewiesen zu werden. «Einer unserer Slogans lautet: Tief glauben, weit denken. Glauben und denken passt zusammen und soll sich auch beeinflussen. Wir wollen das Christsein im Beruf und der Schule fördern, nicht im stillen Kämmerlein. Da stösst man manchmal auch auf Gegenwind».
Doch was bedeutet «Religiöse Neutralität» überhaupt? Marc Schinzel, der im Bundesamt für Justiz für Religionsfragen zuständig ist, beantwortete die Frage unmissverständlich: «Religiöse Neutralität beim Staat heisst grundsätzlich Gleichbehandlung. Wenn der Staat kommuniziert, dass er nichts mit Religion zu tun haben will, ist dies bereits nicht mehr neutral, da er gegen die Religion Partei ergreift.» Dabei sei es nur sinnvoll, über religiöse Neutralität zu sprechen, wenn man von einer religiös heterogenen Gesellschaft ausgehe. Die Pluralität der Religionen müsse anerkannt sein, ergänzte Rahel Katzenstein.
Privilegien für christliche Kirchen
Seit 1874 ist die Religionsfreiheit, wie wir sie heute kennen, in Artikel 15 Teil der Bundesverfassung garantiert. Der schweizer Staat beruht allerdings auf unterschiedlichen christlichen Elementen wie der Nationalhymne oder der Erwähnung Gottes in der Verfassung. Kann man trotzdem noch von Neutralität sprechen? Marc Schinzel bejahte das Bestehen von Privilegien für christliche Kirchen, die man in Kauf nehme, um die Traditionen der einzelnen Kantone zu bewahren. «Alle sollen ihre Religion und Konfession selber wählen können. Nichtsdestotrotz spielen Traditionen eine grosse Rolle für den Zusammenhalt in unserem Land.»
Von einem christlichen Land könne man in Bezug auf die Schweiz jedoch nicht sprechen, so Rahel Katzenstein. Ein christlicher Hintergrund sei erkennbar, dies verändere sich aber zunehmend. Dazu äusserte sich Christoph Egeler ebenfalls: «Ein Staat kann nicht christlich sein. Er kann höchstens aus Christen bestehen. Ein Gottesstaat ist meiner Meinung nach nicht mit dem Evangelium zu vereinbaren, da der christliche Glaube nie erzwungen werden kann. Es sollen auch andere Weltanschauungen und Religionen Platz haben, gleichberechtigt sein und auch für sich werben können, solange dies nicht gegen rechtsstaatliche Grenzen verstösst.»
Währenddem sich die Bevölkerung erneut im Lockdown befindet, dürfen religiöse Versammlungen wie Gottesdienste weiterhin mit 50 Personen stattfinden. Aufgrund dieser Tatsache stehen auch Kirchen in der Schusslinie kritischer Stimmen. Marc Schinzel wies darauf hin, dass Religionsgemeinschaften den Menschen so einen Dienst erweisen können und Seelsorge gerade momentan enorm wichtig sei. Er appellierte an die Neider, zu sehen, wie man selber davon profitieren kann, wenn andere «mehr» dürfen als man selber.
Abschliessend waren sich die Referenten und die Referentin einig, dass besseres Zuhören essenziell sei, damit man sich seiner Umgebung, anderen Menschen und auch Gott gegenüber öffnen könne.
Alle Fragen sind erlaubt
Im Anschluss an das Interview im Plenum ging der Austausch in drei kleineren, thematischen Gruppen weiter. Dabei hatten alle Teilnehmenden die Möglichkeit, konkrete Fragen an die drei Fachpersonen zu richten, ganz nach dem Motto der DenkBar «alle Fragen sind erlaubt».
Die DenkBar ist die jüngste Arbeitsgemeinschaft der Schweizerischen Evangelischen Allianz. Sie will mit Debatten rund um «Glauben und Denken» und der Auseinandersetzung mit kritischen Fragen dazu beitragen, dass Kirchen und Christen in Bezug auf ihre Glaubensüberzeugungen sprachfähiger werden. Neben überregionalen Anlässen ist es das Ziel, dass auch lokale Allianzen und Kirchen DenkBar-Anlässe durchführen.
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